Medizinische Versorgung und Gesundheitsfürsorge auf Schiffen bekommen ihren Rahmen durch internationale (MLC, STCW, SOLAS, IMO) und nationale Vorschriften (flaggenstaatliche Gesetzgebung).Die gültigen Empfehlungen zur medizinischen Ausstattung und zum medizinischen Vorgehen sind im Medical Guide for Ships (2007) niedergeschrieben. Die Entwicklung in Technik und Medizin haben diesen Rahmen überholt und bedürfen einer Revision.

Marine Medical Solutions GmbH hat es sich zur Aufgabe gestellt, die medizinische und Gesundheitsfürsorge auf Schiffen ohne medizinisches Personal und darüber hinaus „neu zu denken“. Was bedeutet das?

Es gibt weltweit etwa 55.000 Handelsschiffe. Auf den meisten derer zeichnet der Kapitän, zumeist mit Unterstützung des 2. nautischen Offiziers für die medizinische Versorgung verantwortlich. Im Rahmen ihres Studiums durchlaufen Nautiker einen medizinischen Kurs nach Vorgaben des Flaggenstaates und nehmen ca. alle 5 Jahre an einem Wiederholungslehrgang teil. Es liegt in der Natur der Sache, dass die medizinischen Kenntnisse limitiert sind.

Medizinische Fälle, insbesondere schwerwiegende Notfälle treten an Bord selten auf. Eine Analyse der Daten einer Flotte von 506 Schiffen ergab 1096 medizinische Fälle unterschiedlichen Schweregrades. Das Gros bezog sich auf Traumata, zumeist durch Arbeitsunfälle.

Fallbeispiel

Ein 38 jähriger Fitter wird bei rauher See an Deck eines Tankers von einer Welle erfasst und gegen ein Rohr geschleudert. Von seinen Kollegen wird er geborgen mit einem über 30cm offenen Oberschenkel, in dessen Mitte der gebrochene Knochen sichtbar ist. Starke Blutung; nächster Hafen 870nm entfernt.

Die Fragen, die sich hier stellen

  • Wie soll die Blutung gestoppt und nachhaltig behandelt werden?
  • Wie soll der Knochen gerichtet und stabilisiert werden?
  • Welche Medikamente sind angebracht und ausreichend – zur Schmerzstillung, zur Beruhigung.
  • Wie soll die offene Wunde behandelt werden?
  • Wie wird eine Stabilisierung erreicht, die ein Überleben, den Erhalt des
  • Beines sichert möglichst ohne eine zusätzliche Infektion?
  • Wie geht der Kapitän mit sich, seiner Unsicherheit und mit seiner Crew um?
  • Wie kann ein Arrangement getroffen werden, dass die Operations des Schiffes minimal beeinflusst?

Faktoren, medizinische Fälle unterschiedlichen Schweregrades an Bord optimal zu managen und um die negativen Folgen zu minimieren sind die Folgenden.

1. Eine medizinische Fernbetreuung des Bordpersonals (Kapitän), die nicht nur punktuell, sondern im Sinne einer medizinischen Fallbehandlung, inkl. Nachbetreuung bei Bedarf, erfolgt.

Die technischen Voraussetzungen dies zu realisieren sind heute in rapider Entwicklung oder bereits gegeben: Breitband – Satelliten- Verbindungen sind von unterschiedlichen Anbietern (noch mit teilweise unterschiedlichem Fokus) verfügbar: z.B. INMARSAT, Eutelsat; Sterling, OneWeb, Amazon sind auf dem Wege der Installation. Verschiedene Anbieter von IT – Lösungen haben es geschafft, den Bedarf an Bandbreite, auch zur Realisierung von Video-Kommunikation, der in-time Übertragung von Vitalwerten drastisch zu minimieren. Damit wird die medizinisch begründete Informationsübertragung, um unter den gegebenen Bedingungen verbesserte, optimale „Diagnostik“ und Beratung durchführen zu können technisch möglich und auch aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus lohnend.

Was lässt sich erreichen?

Eigene Erfahrungen, verglichen mit der angeführten Analyse zeigen, dass sich durch medizinische Betreuung mit Follow-up die Anzahl von landseitigen Konsolen als auch medizinisch begründetes Ausschiffen signifikant reduzieren lassen.

Die medizinische Betreuung kann und sollte sich also von dem Mail-Verkehr lösen und zur individuellen Beratung entwickelt werden; inclusive Follow-up – nicht alle Erkrankungen sind für den Behandelt an Bord mit einer „single-point-consultation“ erschöpfend zu behandeln.

2. Ein Medical Chest, dessen Inhalt dem medizinischen Berater bekannt ist; auf dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Möglichkeiten.

Viele Flaggenstaaten und Reeder gründen ihre Festlegungen zum Bestand des Medical Chest auf die Empfehlungen des „Medical Guide for Ships“; herausgegeben 2007.

In den vergangenen Jahren haben sich auch medizinische Möglichkeiten, Erkenntnisse und Standards verändert. Um nicht auch erneut auf die aktuelle Corona-Pandemie zu fokussieren. Dem sollte und kann auch im medizinischen Bestand an Bord Rechnung getragen werden – ob es Malaria-Prophylaxe, Medikamente zur Behandlung des Bluthochdruckes oder um Schmerzmedikamente geht – Aktualisierungen sind hier möglich und angeraten. Umso mehr, wenn eine spezifische teemedizinische Anbindung und Beratung erfolgt; der konsultierte Arzt also um den Bestand an Bord weiss.

Last not least ist es angezeigt eine Qualitätskontrolle zu etablieren: Die Nichtverfügbarkeit einzelner Medikamente an verschiedenen Orten der Welt führt mitunter zu Ersatzlieferungen, die nicht die gegebenen Indikationen abdecken.

MMS hat für einen Teil seiner Kunden bereits den Bestand des Medical Chest angepasst, auch ein „MMS pre-packed formulary“ definiert.

3. Volle Transparenz der Ereignisse für den Reeder – sowohl im Einzelfall als auch in der Gesamtbetrachtung pro Flotte und Jahr

Reedereien sind gegenüber ihrer Crew in einer besonderen Rolle und Verpflichtung. Die Reederfürsorge laut MLC nimmt sie in die Verantwortung. Gleichzeitig sind Rahmenbedingungen durch die P&I-Clubs definiert. Die Sinnhaftigkeit auf Basis digitaler Plattformen Übersicht über das Vorkommen, die Behandlung, Konsequenzen und Kosten medizinischer Fälle an Bord der Schiffe einer Flotte ergibt sich aus der Kombination von zu entwickelnden Prozessen, Arbeitsschutz, Fürsorge und last not least Kostenkontrolle.

Die medizinischen Belange und Themen sind in den Organisationen von Reedereien häufig auf unterschiedliche Departments aufgeteilt: Crew-Management, IT, Procurement, Compliance, HSEQ.. um nur einige zu nennen. Originäre medizinische Expertise ist nicht oder selten in den Organisationen verankert.

Die bereits oben genannte Analyse einer Flotte von 560 Schiffen zeigte folgende wesentliche Ergebnisse (die Gesamt-Analyse kann bei Marine Medical Solutions angefragt werden):

  • von 1096 medizinischen Fällen waren bezüglich Diagnose, Outcome (Fit for duty, unfit-for-duty, disembarkation, …) und Weiterversorgung 25% „unspecified“
  • die häufigsten medizinischen Fälle hatten ihre Ursache bei kariösen Zähnen
  • die zweithäufigste Kategorie waren Traumata (Verletzungen: zumeist durch Arbeitsunfälle).
  • gefolgt von Rückenschmerzen und anderen Beschwerden im Bewegungsapparat.

Diese Ergebnisse unterstreichen zwei Aussagen: Transparenz, profunde medizinische Bewertung und Dokumentation erlauben dem Reeder Fürsorge und Kostenkontrolle (Claims-Management). Und: Die Rolle von hoch-qualitativen PEME (Dental Fitness!), Arbeitschutzvorschriften (z.B. Lärm, natürliche UV Strahlung, Heben und Tragen schwerer Lasten) und präventiven Wellness-Programs (z.B. in Bezug auf Rückenschmerzen, arteriellen Hypertonus, Diabetes mellitus, Ernährungsgewohnheiten, psychische Resilience) ist immanent.

4. Der medizinische Ausbildungsstand der Crew

Über die verpflichtenden Erste-Hilfe-Kenntnisse hinaus gehören Nautiker zu den extrem wenigen Berufsgruppen, die ohne medizinisches Studium berechtigt sind, medizinische Massnahmen zu ergreifen. Dafür werden sie im Rahmen von Lehrgängen im Rahmen ihres Studiums und verpflichtende Wiederholungslehrgänge vorbereitet.

Kenntnisniveau und vor die Bereitschaft und Fähigkeit zur Anwendung sind limitiert. Bei der geringen Inzidenz medizinischer Vorkommnisse in all ihrer möglichen Breite ist auch das Erlangen einer gewissen Routine nahezu ausgeschlossen. Handbücher zur medizinischen Versorgung auf See wurden von unterschiedlichen Flaggenstaaten herausgegeben und sind neben oder als Alternative zum Medical Guide for Ships and Bord vorhanden.

Als weiterführend und den neuen technischen Möglichkeiten Rechnung tragend sollten zwei Aspekte gelten: Die zur Verfügung gestellte Literatur / Anleitung sollte Hands-on sein; übersichtlich, für Laien verständlich, Handlungsanweisungen illustrierend. Durch MMS wurden in diesem Sinne z.B. erklärende Videos mit entwickelt:

Hier geht es zum Video

In unmittelbarem Zusammenhang ist die Frage nach der Struktur der medizinischen Kurse für Nautiker zu stellen. Bedarf der Kapitän an Bord Kenntnisse zu Interaktionen von Medikamenten? zur Pathophysiologie?

Die Kurse sollten darauf ausgerichtet sein, die Nautiker in die Lage zu versetzen anamnestische Informationen, körperliche Untersuchungsergebnisse und erhobene Vitalwerte dem telemedizinischen Konsiliar entsprechend präsentieren zu können. Also zum Einen entsprechend werten zu können und korrekte Daten zu erheben (Beispiel: der Blutdruck wurde an MMS als 19,5/10,5 übermittelt – anstelle von 195/105 mmHg). Und zum anderen die praktischen Fähigkeiten maximal zu vermitteln und zu trainieren (Beispiel: Ein Crewmitglied auf einem Schiff in den Tropen hat Säure geschluckt. Der Schluckakt war in der Folge nicht mehr möglich; die nächste Möglichkeit einer Ausschiffung 2,5 Tage voraus. Die anlage einer Infusion wurde aus Angst abgelehnt.)

Die Heldentaten manches Kapitäns und seiner Crew in der medizinischen und psychologischen Verarbeitung auch schwerster Vorkommnisse können nicht hoch genug gewertet werden.

Beispiel: offene Verletzung der rechte Hand:

Es ist an den Reedereien, den Behörden und internationalen Gremien, die heutigen Möglichkeiten der technischen Unterstützung adäquaten Informations-. und Wissenstransfers zur Regel werden zu lassen. MMS hat zeigen können, dass dies sich medizinisch, wirtschaftlich und last not least ethisch lohnt.